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Heldentat

1. Definition

Eine Heldentat ist jede Art von Handeln eines Akteurs, das Gegenstand eines ⟶Heroisierungsprozesses ist.1Dieser Beitrag basiert auf den kollektiven Diskussionen im Sonderforschungsbereich 948 „Helden – Heroisierungen – Heroismen“, insbesondere in der Verbundarbeitsgruppe 6 „Synthesen“. Wir verzichten daher auf die Nennung einzelner Autor:innen. Die präsentierten Modelle gehen auf einen Vorschlag von Achim Aurnhammer und Hanna Klessinger zurück, der in einer eigenen Publikation weiter ausgearbeitet wurde, vgl. Aurnhammer, Achim / Klessinger, Hanna: „Was macht Schillers Wilhelm Tell zum Helden? Eine deskriptive Heuristik heroischen Handelns“. In: Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft 2018, 127-149. DOI: 10.1515/9783110580983-006. Redaktionell bearbeitet wurde der Artikel von Georg Feitscher. Der Artikel ist ein ‚work in progress‘, Ergänzungen und Präzisierungen sind ausdrücklich erwünscht. Senden Sie Ihren Vorschlag gern an die Redaktion (redaktion@compendium-heroicum.de). Zwar gibt es Formen von Heroisierungen, die sich nicht auf die Tat einer ⟶heroischen Figur richten (sondern z. B. auf ihre innere Einstellung). In vielen Fällen jedoch bildet ein aktives oder passives Handeln den Bezugspunkt von Heroisierungsprozessen, wird in Form eines ⟶Heldennarrativs repräsentiert und als Beleg für die der Person zugeschriebenen heroischen Qualitäten interpretiert.

2. Modelle und Heuristiken

2.1. Die Heldentat als ‚heroisches Handeln‘ (Max Weber)

Angesichts der Bandbreite von Taten, die als heroisch gelten, muss einem heuristischen Zugriff auf das Phänomen ‚Heldentat‘ ein weites Konzept des Handelns zugrunde gelegt werden. Max Webers Begriff des Handelns eignet sich, weil er neben körperlichen Handlungen auch Sprechakte, symbolische Akte und Formen des Unterlassens einschließt: „‚Handeln‘ soll […] ein menschliches Verhalten (einerlei ob äußeres oder innerliches Tun, Unterlassen oder Dulden) heißen, wenn und insofern als der oder die Handelnden mit ihm einen subjektiven Sinn verbinden.“2Weber, Max: Wirtschaft und Gesellschaft. 6. Auflage. Band 1. Tübingen 1985 [1921]: Mohr, 542. Online unter: http://www.zeno.org/nid/2001144035X (Zugriff am 20.02.2018). Mit diesem Ansatz kann auch das passive Erdulden von Leid oder das bloße ⟶Durchhalten einer agonalen Situation als heroisches bzw. heroisierbares Handeln erfasst werden.

Weiter lässt sich eine Heldentat mit Weber als ‚soziales Handeln‘ beschreiben, insofern heroisches Handeln als ‚selbstloses Handeln für andere‘ verstanden wird: „‚Soziales‘ Handeln aber soll ein solches Handeln heißen, welches seinem von dem oder den Handelnden gemeinten Sinn nach auf das Verhalten anderer bezogen wird und daran in seinem Ablauf orientiert ist.“3Weber: Wirtschaft und Gesellschaft, 1985, 542. Webers Definition liefert mit der Intentionalität des Handelns – d. h. dem „subjektiven Sinn“, der ihm zugrunde liegt oder unterstellt wird – ein Unterscheidungskriterium, das notwendig intentionales Handeln (oder Unterlassen) von einem zufälligen oder erzwungenen Tun/Verhalten abgrenzt. Da die heroische Sinngebung nur kommunikativ und nachträglich erfolgt, wird die Intention retrospektiv in die jeweilige Handlung hineinprojiziert.

Ebenso lässt sich heroisches Handeln mit Weber als eine Form ‚wertrationalen Handelns‘ auffassen, das sich im Gegensatz zu anderen Formen sozialen Handelns (zweckrational; affektuell/emotional; traditional) dadurch auszeichnet, dass der Akteur ungeachtet der Konsequenzen und zweckmäßigsten Wahl der Mittel nur nach Maßgabe eines geglaubten (ethischen, ästhetischen oder religiösen, etc.) Wertes handelt.4Vgl. Weber: Wirtschaft und Gesellschaft,1985, 566. Online unter: http://www.zeno.org/nid/20011440384 (Zugriff am 20.02.2018). Die Werte, die mit heroisch interpretierbaren Handlungen verbunden werden, sind von gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen abhängig, sind kulturell bedingt und unterliegen historischen Wandlungen.

2.2. Relationsmodell (Leo Braudy)

Nach Leo Braudy sind vier wesentliche Faktoren für eine ‚Ruhmestat‘ verantwortlich: Der Akteur, die lobenswerte Tat, die unmittelbare Anerkennung durch eine Gemeinschaft und ein zeitüberdauerndes Medium („a person and an accomplishment, their immediate publicity, and what posterity has thought about them ever since“5Braudy, Leo: The Frenzy of Renown. Fame and Its History. New York 1997: Vintage, 15.). Im Anschluss an Braudy kann eine Heldentat als Relationengefüge bestimmt werden, um so die Konstruktionsprozesse und performative Aushandlung eines Heldennarrativs zwischen Tat, Täter, Gegenspieler und Verehrergemeinde zu erhellen.

2.2.1. Held und Gegenspieler

Die erste Relation besteht zwischen Held und Gegenspieler bzw. zwischen dem Protagonisten und dem Antagonisten. Heldentaten im weiten Sinne profilieren sich vor der Folie eines antagonistischen Moments oder eines Wertkonfliktes. Heroisches Handeln muss in der Regel einen außergewöhnlichen bis übermenschlichen – äußeren oder inneren (psychischen) – Widerstand überwinden, in Gestalt eines individuellen Gegenspielers, gesellschaftlich-politischer Rahmenbedingungen, hemmender internalisierter Normen oder einer anderen widerständigen Kraft. Je höher der Widerstand/die Gefahr/das Risiko ist, die es durch eine Handlung zu überwinden gilt, desto eher eignet sich die Tat zur Heroisierung durch ein Publikum.

2.2.2. Akteur und Tat

Im Verhältnis zwischen Akteur und Tat müssen mehrere Kriterien erfüllt sein. Voraussetzung der Heroisierung ist zunächst die Identifizierbarkeit der Tat mit einem Täter. Ebenso ist die Motivation des Akteurs bedeutend. Da heroisches Handeln als wertrationales Handeln interpretierbar sein sollte, gilt: Je weniger eine Tat den eigenen Interessen des Akteurs dient bzw. je größer der kollektive Nutzen ist, desto eher eignet sie sich zur Heroisierung. Nur die wertrationale Motivation des Handelnden, nicht der Erfolg entscheidet über die Heroisierbarkeit.


Aus der Perspektive des Akteurs rückt außerdem der Moment des Entschlusses ins Blickfeld. Jedes Handeln setzt einen Entschluss voraus, dem eine je unterschiedliche zeitliche Frist zugrunde liegt. Dem Heroischen scheint prinzipiell der kurze Entschluss zu entsprechen, während eine langwierige Risikoabwägung lediglich als Komplement zu sonst rasch entschlossenem Handeln heroisch wirken kann. Sowohl das zeitliche als auch das inhaltliche, ethische Kriterium erweisen bereits den Entschluss zum Handeln als heroisch, der daher auch besonders häufig Gegenstand künstlerischer Darstellungen wird.

2.2.3. Tat, Publikum und Medialität

Eine Heldentat reizt immer wieder zum Erzählen oder zu ikonischer Repräsentation und lässt sich in eine Kette von Ereignissen einfügen, welche das Heldennarrativ konstituiert. In der narrativen oder bildlichen Repräsentation wird ein Handeln zur Heldentat überhöht, etwa indem ihm epochale Bedeutung zugesprochen wird (heroisches Handeln bedeutet dann die Wiederherstellung eines korrumpierten Idealzustands oder den Beginn einer neuen Ordnung) und indem es auch über einen längeren Zeitraum hinweg vergemeinschaftend wirkt.

In der ⟶medialen Repräsentation von Heldentaten entwickelt sich häufig eine Ikonographie oder Formelhaftigkeit, zum Beispiel in Form signifikanter Attribute, die zeichenhaft auf die heroische Tat hindeuten. So kann es zur Herausbildung einer ästhetischen Eigenlogik heroischer Taten kommen, die sich in Massenmedien, bildenden Künsten, Literatur und Musik manifestiert und dort ggf. reflektiert wird.

2.3. Kommunikationsmodell (Roman Jakobson)

Mit Roman Jakobson kann die Heldentat als Kommunikationsphänomen betrachtet werden6Vgl. Jakobson, Roman: „Linguistics and Poetics“. In: Sebeok, Thomas A. (Hg.): Style in Language, Cambridge, Mass. 1960: MIT Press, 350–377.: Ein Akteur (Krieger, Autor, Wissenschaftler) vollbringt eine Leistung (Tat, Werk, Erfindung) auf einem bestimmten Gebiet (Krieg, Kunst, Wissenschaft). Diese Leistung wird durch ein Medium (Literatur, Bild, Lied) und einen Code (Sprache, Kunst, Musik) an Rezipienten vermittelt, die sie in ihrem historischen Kontext als heroisch werten.

2.4. Prozessmodell

In Bezug auf eine heroische Handlung bzw. ihre narrative Darstellung lassen sich verschiedene Phasen differenzieren: Am Beginn steht ein Konflikt, der als Motivation für die Tat der heroisierten Person gedeutet wird. Es kommt zu einem Entscheidungsmoment, in dem der potentielle Held einen Entschluss fassen muss, ob er handeln will oder nicht. Der Vollzug der Handlung führt zu einem bestimmten Resultat, das anschließend in einem Heroisierungsprozess von Verehrern und Publika verarbeitet wird. Ein Ergebnis dieses Prozesses kann die Essentialisierung der Tat sein, die fortan als unablösbarer Teil des Helden betrachtet wird und diesen definiert.


3. Einzelnachweise

  • 1
    Dieser Beitrag basiert auf den kollektiven Diskussionen im Sonderforschungsbereich 948 „Helden – Heroisierungen – Heroismen“, insbesondere in der Verbundarbeitsgruppe 6 „Synthesen“. Wir verzichten daher auf die Nennung einzelner Autor:innen. Die präsentierten Modelle gehen auf einen Vorschlag von Achim Aurnhammer und Hanna Klessinger zurück, der in einer eigenen Publikation weiter ausgearbeitet wurde, vgl. Aurnhammer, Achim / Klessinger, Hanna: „Was macht Schillers Wilhelm Tell zum Helden? Eine deskriptive Heuristik heroischen Handelns“. In: Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft 2018, 127-149. DOI: 10.1515/9783110580983-006. Redaktionell bearbeitet wurde der Artikel von Georg Feitscher. Der Artikel ist ein ‚work in progress‘, Ergänzungen und Präzisierungen sind ausdrücklich erwünscht. Senden Sie Ihren Vorschlag gern an die Redaktion (redaktion@compendium-heroicum.de).
  • 2
    Weber, Max: Wirtschaft und Gesellschaft. 6. Auflage. Band 1. Tübingen 1985 [1921]: Mohr, 542. Online unter: http://www.zeno.org/nid/2001144035X (Zugriff am 20.02.2018).
  • 3
    Weber: Wirtschaft und Gesellschaft, 1985, 542.
  • 4
    Vgl. Weber: Wirtschaft und Gesellschaft,1985, 566. Online unter: http://www.zeno.org/nid/20011440384 (Zugriff am 20.02.2018).
  • 5
    Braudy, Leo: The Frenzy of Renown. Fame and Its History. New York 1997: Vintage, 15.
  • 6
    Vgl. Jakobson, Roman: „Linguistics and Poetics“. In: Sebeok, Thomas A. (Hg.): Style in Language, Cambridge, Mass. 1960: MIT Press, 350–377.

4. Ausgewählte Literatur

  • Aurnhammer, Achim / Klessinger, Hanna: „Was macht Schillers Wilhelm Tell zum Helden? Eine deskriptive Heuristik heroischen Handelns“. In: Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft 2018, 127-149. DOI: 10.1515/9783110580983-006
  • Braudy, Leo: The Frenzy of Renown. Fame and Its History. New York 1997: Vintage.
  • Weber, Max: Wirtschaft und Gesellschaft. 6. Auflage. Tübingen 1985 [1921]: Mohr.

5. Abbildungsnachweise

Teaserbild: Caravaggio: „Judith enthauptet Holofernes“, ca. 1598, Öl auf Leinwand, 145 cm × 195 cm, Galleria Nazionale d’Arte Antica im Palazzo Barberini, Rom.
Lizenz: Gemeinfrei

Zitierweise

Sonderforschungsbereich 948: Heldentat. In: Compendium heroicum. Hg. von Ronald G. Asch, Achim Aurnhammer, Georg Feitscher, Anna Schreurs-Morét und Ralf von den Hoff, publiziert vom Sonderforschungsbereich 948 „Helden – Heroisierungen – Heroismen“ der Universität Freiburg, Freiburg 23.08.2022. DOI: 10.6094/heroicum/htd1.1.20220823