- Version 1.0
- publiziert am 7. Juni 2018
Inhalt
1. Wie Helden entstehen. Konstitutionsprozesse heroischer Figuren
Heroische Figuren und die Ihnen zugeschriebenen Eigenschaften werden in dynamisch-kulturellen Konstitutionsprozessen hervorgebracht. Ausgangspunkt des hier vorgestellten Ansatzes ist daher die Untersuchung von ⟶Heroisierungsprozessen.1Die Ausführungen beruhen auf Schlechtriemen, Tobias: „Der ‚Held‘ als Effekt. Boundary work in Heroisierungsprozessen“. In: Berliner Debatte Initial 29.1 (2018), 106-119. Der Zugang unterscheidet sich von Darstellungen, die davon ausgehen, dass es Heldinnen und Helden gibt und man deren jeweilige Einzigartigkeit beschreiben müsse. Solche essentialisierenden Ansätze sind in zweierlei Hinsicht kritisch zu hinterfragen. Zum einen, weil sie einen allgemeingültigen, anthropologischen und abstrakten Definitionsanspruch erheben: Wer ist ein Held und was zeichnet ihn aus? Zum anderen, weil sie sich in der bloßen Beschreibung einzelner heroischer Exempla erschöpfen. Auf diese Weise wird weder etwas über die historisch-gesellschaftliche Verortung von heroischen Figuren noch über ihr Zustandekommen ausgesagt.
Statt den Fokus auf die heroisierte Einzelfigur zu lenken, soll der analytische Blick hier auf die Prozesse gerichtet werden, die den Helden oder die Heldin erst zu einem oder einer solchen machen. So verstanden stellt sich die heroisierte Figur als Effekt von dynamisch-kulturellen Konstitutionsprozessen dar. Es geht demnach nicht um die Figur und ihre Eigenschaften, sondern um diejenigen Prozesse, die am Zustandekommen dieser Eigenschaften beteiligt sind. Wie sich die Untersuchungsperspektive dadurch verschiebt, lässt sich anhand derjenigen Eigenschaften zeigen, die Heldinnen und Helden auszeichnen: Außerordentlichkeit, moralische und affektive Besetzung, Autonomie und Transgressivität, starke menschliche Agency, sowie Agonalität.2Dieser Merkmalskatalog wurde im Rahmen des SFB 948 erarbeitet und im soziologischen Teilprojekt von Ulrich Bröckling und mir weiterentwickelt. Als Heuristik ist er ausgehend vom sich weitgehend auf europäische Quellen beschränkenden Material der ersten Förderphase zusammengestellt worden. Anders gelagerte Quellenkorpora erfordern eine entsprechende Angleichung. Diese Eigenschaften werden in vielen Darstellungen an der heroischen Figur selbst festgemacht, also ihr direkt zugesprochen. Als heuristische Merkmale im Sinne einer Typologisierung sind sie wichtig, um heroische Figuren überhaupt identifizieren und von anderen Figuren abgrenzen zu können.3Zu den Vor- und Nachteilen von Typisierungen am Beispiel einer Typologie von Antihelden vgl. Bröckling, Ulrich: „Negationen des Heroischen – ein typologischer Versuch“. In: helden. heroes. héros. E-Journal zu Kulturen des Heroischen, 3.1 (2015), 9–13. DOI: 10.6094/helden.heroes.heros/2015/01/02. Das, was typologisch als Eigenschaften einer Figur verstanden wird (in der linken Spalte von Tab. 1), kann jedoch aus einer anderen Perspektive als Ergebnis unterschiedlicher Konstitutionsprozesse gesehen werden (in der rechten Spalte von Tab. 1).
Dem Ansatz liegt folglich ein Verständnis zugrunde, welches erstens nicht-essentialistisch von Konstitutionsprozessen ausgeht. Heroische Figuren bilden sich erst in sozialen Kommunikationssituationen heraus. Es muss von ihnen erzählt oder in anderen ⟶Medien berichtet werden, und es muss andere Menschen geben, die sie als Helden anerkennen oder bewundern. In diesem Sinne macht es zwar einen Unterschied, ob eine Heldengeschichte als ‚real‘ oder als ‚fiktiv‘ gerahmt ist. Aber in beiden Fällen sind narrative, diskursive und mediale Analysen aufschlussreich im Hinblick darauf, wie der Held zustande kommt. Untersuchungsgegenstand sind zweitens immer Prozesse. Heroische Figuren bilden sich in bestimmten historisch-gesellschaftlichen Konstellationen heraus, sie können aber auch wieder an Strahlkraft verlieren und ⟶deheroisiert werden. Drittens gibt es solche Figuren nur, wenn sie durch unterschiedliche soziale und mediale Praktiken hervorgebracht werden – im Sinne einer Performativität des Heroischen. Schließlich existieren heroische Figuren nicht für sich allein, sondern stehen relational in spezifischen sozialen Konstellationen zu anderen Figuren und sozialen Akteuren. Untersucht werden entsprechend Dynamiken und Prozesse, soziale und mediale Praktiken sowie interfigurative Bezüge.
Eigenschaften heroischer Figuren aus typologischer Sicht | Konstitutionsprozesse heroischer Figuren |
---|---|
Außerordentlichkeit | Figurative Konstellationen |
affektive und moralische Aufgeladenheit | kollektive Zuschreibung und Verdichtung |
Agonalität | Polarisierung und kollektive Identifikation |
Transgressivität | ⟶Grenzüberschreitung und Kippmoment |
Starke, menschliche Agency | ⟶Konzentration der Agency, Anthropomorphisierung |
2. Einzelnachweise
- 1Die Ausführungen beruhen auf Schlechtriemen, Tobias: „Der ‚Held‘ als Effekt. Boundary work in Heroisierungsprozessen“. In: Berliner Debatte Initial 29.1 (2018), 106-119.
- 2Dieser Merkmalskatalog wurde im Rahmen des SFB 948 erarbeitet und im soziologischen Teilprojekt von Ulrich Bröckling und mir weiterentwickelt. Als Heuristik ist er ausgehend vom sich weitgehend auf europäische Quellen beschränkenden Material der ersten Förderphase zusammengestellt worden. Anders gelagerte Quellenkorpora erfordern eine entsprechende Angleichung.
- 3Zu den Vor- und Nachteilen von Typisierungen am Beispiel einer Typologie von Antihelden vgl. Bröckling, Ulrich: „Negationen des Heroischen – ein typologischer Versuch“. In: helden. heroes. héros. E-Journal zu Kulturen des Heroischen, 3.1 (2015), 9–13. DOI: 10.6094/helden.heroes.heros/2015/01/02.
3. Ausgewählte Literatur
- Bröckling, Ulrich: „Negationen des Heroischen – ein typologischer Versuch“. In: helden. heroes. héros. E-Journal zu Kulturen des Heroischen, 3.1 (2015), 9-13. DOI: 10.6094/helden.heroes.heros/2015/01/02.
- Schlechtriemen, Tobias: „Der ‚Held‘ als Effekt. Boundary work in Heroisierungsprozessen“. In: Berliner Debatte Initial 29.1 (2018), 106-119.