- Version 1.0
- publiziert am 20. Februar 2018
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Inhalt
- 1. Definition
- 2. Modelle und Heuristiken
- 2.1. Heldennarrative
- 2.2. Phasen der Heroisierung
- 2.2.1. Heldenbehauptung
- 2.2.2. Resonanz und Polarisierung
- 2.2.3. Perpetuierung
- 2.2.4. Entheroisierung
- 2.3. Akteure der Heroisierung und ihre Relationen
- 3. Einzelnachweise
- 4. Ausgewählte Literatur
- 5. Abbildungsnachweise
- Zitierweise
Hinweis: Dieser Beitrag basiert auf den kollektiven Diskussionen im Sonderforschungsbereich 948 „Helden – Heroisierungen – Heroismen“. Wir verzichten daher auf die Nennung einzelner Urheber.1Maßgeblich an der Diskussion beteiligt waren die Mitglieder der Verbundarbeitsgruppe 6 „Synthesen“ im Sonderforschungsbereich 948. Redaktionell bearbeitet wurde der Artikel von Georg Feitscher. Der Artikel ist ein ‚work in progress‘, Ergänzungen und Präzisierungen sind ausdrücklich erwünscht. Senden Sie Ihren Vorschlag gern an die Redaktion (redaktion@compendium-heroicum.de), Mitglieder des Sonderfoschungsbereichs können ihre Entwürfe auch direkt auf der internen Teamplattform eintragen.
1. Definition
‚Heroisierung‘ bezeichnet jeden kommunikativen und performativen Prozess, der eine Figur als Held(in) behauptet, indem ihr spezifische heroische Qualitäten zugeschrieben werden. Die Grundlage einer solchen Zuschreibung ist in der Regel ein Heldennarrativ. An die initiale Heldenbehauptung schließen häufig weitere Stadien an, in denen die Heroisierung eine positive oder negative Resonanz erfährt, durch kulturelle Praktiken und diskursive Setzungen perpetuiert wird und schließlich in einer Phase der Entheroisierung zu ihrem Ende kommt. An Heroisierungsprozessen partizipieren verschiedene Akteure, darunter der Held selbst, die ‚Heldenmacher‘, die Anhänger und Gegner des Helden sowie ein Publikum, welches die Heroisierung von außen beobachtet.
2. Modelle und Heuristiken
2.1. Heldennarrative
Ein grundlegender Aspekt von Heroisierungsprozessen ist die Genese, Dynamik und mediale Vermittlung eines Heldennarrativs, in dem eine Gemeinschaft die heroisierte Person zum „gestalthaften Fokus“ ihrer Selbstverständigung macht.2Plessner, Helmuth: Macht und menschliche Natur. Frankfurt
a. M. 1981: Suhrkamp, 80; vgl. auch von den Hoff, Ralf et al.: „Helden – Heroisierungen – Heroismen. Transformationen und Konjunkturen von der Antike bis zur Moderne. Konzeptionelle Ausgangspunkte des Sonderforschungsbereichs 948“. In: helden. heroes. héros. E-Journal zu Kulturen des Heroischen 1.1 (2013), 7-14, hier 10. DOI: 10.6094/helden.heroes.heros./2013/01/03. In solchen Narrativen werden der heroisierten Figur und ihrem Handeln bestimmte Qualitäten und Werte zuerkannt, die durchaus in einem Spannungsverhältnis stehen können. Zu den heroischen Qualitäten der Figur zählen insbesondere ihre Exzeptionalität (d. h. die Distinktion zwischen der heroischen Figur und der Masse), ihre Transgressivität (d. i. die mit ihrem Handeln verbundene Legitimation und/oder Problematisierung von Norm- und Gesetzesbrüchen), ihre Exemplarität (d. h. ihre Vorbildwirkung für die Gemeinschaft) und ihre Moralität (d. i. die appellative, auch polarisierende Wirkung des Helden auf seine Gemeinschaft).
Zudem lassen sich formale Merkmale und Strategien identifizieren, die für Heldennarrative charakteristisch sind. Häufig wird ein epochaler Moment oder ein Umschlagpunkt fokussiert (Peripetie). Ein Merkmal von Heldennarrativen ist auch die Konstruktion dichotomer Konstellationen, in denen der ‚gute‘ Held gegen einen ‚bösen‘ Antagonisten kämpft (Agonalität). In heroisierenden Narrativen erscheint der Held als individueller Akteur mit Gesicht, Körper, Geschlecht und Biographie (Anthropomorphisierung und Personalisierung); allein seine Taten bestimmen das Geschehen, während andere Akteure ausgeblendet und somit komplexe Wirkungs- und Handlungszusammenhänge vereinfacht werden (Konzentration von agency).3Vgl. Schlechtriemen, Tobias: „The Hero and a Thousand Actors. On the Constitution of Heroic Agency“. In: helden. heroes. héros. E-Journal zu Kulturen des Heroischen 4.1 (2016), 17-32. DOI: 10.6094/helden.heroes.heros./2016/01/03. Abgesehen von diesen allgemeinen Repräsentationsstrategien in Heldennarrativen zeigt sich die Ausformung und Ausfüllung von Heldennarrativen historisch variabel, da in ihnen jeweils epochen- und kulturspezifische Heldensemantiken aktualisiert werden.
Ein historisch persistentes Heldennarrativ bedarf einer fortlaufenden Aktualisierung und Repräsentation in konkreten Einzelmedien. Das Heldennarrativ unterliegt daher einerseits medialen Prädispositionen, die seine Ausgestaltung wesentlich beeinflussen, andererseits aber auch einem medialen Wandel. Verschiedene Phänomene erscheinen im Hinblick auf die Medialität von Heldennarrativen relevant und können ggf. zur typologischen Beschreibung eines Artefakts herangezogen werden. Dazu zählen vor allem Präfigurationen, Antizipationen und ‚Hohlformen‘ in vorgängigen Medien, die im Heldennarrativ realisiert oder ausgefüllt werden. Dabei steht die Tradierung und Wiedererkennbarkeit von Heldennarrativen, die historische Kontinuität gewährleisten, in einem Spannungsverhältnis zur Variation und Modifikation des Narrativs, welche die Grundlage für die historische Adaptabilität einer Heroisierung bilden.
Bei der Gestaltung von Heldennarrativen in Kunst und Literatur kommen häufig Techniken der ikonographischen Verkürzung, Verdichtung, Selektion und Substitution zum Einsatz. Eine spezifische künstlerische bzw. literarische Leistung ist die selbstreflexive Ver- und Bearbeitung von Heldennarrativen, denn Kunstwerke und Texte können nicht nur Teil von Heroisierungsprozessen sein, sondern Heroisierungsprozesse zu ihrem Gegenstand machen. Einen Sonderfall stellen fiktionale Heldennarrative dar, deren ethische Lizenzen weniger restriktiv sind und in denen sich der Einfluss ästhetischer Eigenlogiken stärker manifestiert. Fiktionale Heldenerzählungen können zudem zwei unterschiedliche Heroisierungsprozesse fundieren: zum einen auf der Ebene der Diegese, wenn eine fiktive Person in der Welt der Erzählung als Held(in) behauptet wird, zum anderen in der Extradiegese bzw. in der Realität, wenn die heroisierte Figur auch jenseits der Binnenwelt des Textes als Held wahrgenommen wird.
2.2. Phasen der Heroisierung
In Heroisierungsprozessen lassen sich analytisch die Phasen 1) der Heldenbehauptung, 2) der Resonanz/Polarisierung, 3) der Perpetuierung und 4) der Entheroisierung unterscheiden. In realen Heroisierungsprozessen können sich diese Phasen überlagern und/oder parallel auftreten. Umgekehrt kann es in der Realität auch zu erheblichen historischen Latenzen zwischen den einzelnen Phasen kommen. Zudem lassen sich Heroisierungen mit dem hier skizzierten Modell als zirkuläre Prozesse erfassen, so z. B. wenn eine ‚entheroisierte‘ Figur durch eine neue Heldenbehauptung wieder Resonanz erfährt.
2.2.1. Heldenbehauptung
Eine Heldenbehauptung ist eine notwendige Voraussetzung für jede Heroisierung. ‚Heldenmacher‘ und ‚-vermittler‘ identifizieren eine heroisierbare Figur, schreiben ihr heroische Qualitäten zu und bemühen sich um die Verbreitung des Konstrukts. Von entscheidender Bedeutung ist der situative Kontext sowie die historischen und sozialen Konstellationen, welche die Heldenbehauptung ermöglichen und auf die – vice versa – die Heldenbehauptung reagiert. Relevant sind insbesondere soziale Bedürfnisse der Gemeinschaft und präfigurierte Heldennarrative, auf welche die Heldenbehauptung rekurriert. Die Heldenbehauptung kann explizit („ … ist ein Held“) oder implizit über die bloße Attribution heroischer Qualitäten erfolgen. Ebenso kann die Heldenbehauptung als ‚Hohlform‘ eine heroische Rolle definieren, die erst zukünftig von einer konkreten Person gefüllt wird.
2.2.2. Resonanz und Polarisierung
Die Heldenbehauptung kann – entweder unmittelbar im Anschluss oder mit erheblicher historischer Verzögerung – mediale Verbreitung erfahren und auf Resonanz beim Publikum stoßen. In dieser Phase entfalten die affektiv-moralischen Dynamiken der Heroisierung ihre Wirkung, denn die Heldenbehauptung führt bei Teilen des Publikums in verschiedenen Graden zu Zustimmung, Identifikation, Bewunderung, Verehrung oder Imitation, bei anderen Gruppen dagegen zu Indifferenz, Ablehnung oder Kritik. So formieren sich aus dem anfangs noch nicht affizierten Publikum heraus eine polarisierte Anhängerschaft und Gegnerschaft des Helden.
Ob eine Heldenbehauptung Resonanz erfährt, hängt von den Erwartungen und Bedürfnisstrukturen der Gemeinschaft sowie vom Vorhandensein geeigneter Heldennarrative und Präfigurationen ab. Auch kann das in der Heldenbehauptung angelegte Heldennarrativ ausgestaltet und weiterentwickelt werden, um Anschlussfähigkeit beim Publikum zu etablieren oder zu wahren.
2.2.3. Perpetuierung
Um eine Heroisierung über längere Zeiträume hinweg zu verstetigen und gegen die Gefahr einer ‚Veralltäglichung‘ zu schützen, greifen Verehrergemeinschaften auf verschiedene Techniken und Praktiken zurück. Dabei muss die Heroisierung dynamisch bleiben, um soziale und kulturelle Adaptabilität zu wahren. Eine solche dynamische Perpetuierung basiert zum einen auf Verehrungspraktiken, die den Bezug zwischen Publikum und heroisierter Figur reaktivieren, zum anderen auf der Tradierung und Modifikation des zugrundeliegenden Heldennarrativs, das dadurch seinen Platz im kommunikativen Gedächtnis der Gemeinschaft behauptet und/oder in den Kanon des kulturellen Gedächtnisses transferiert wird.4Vgl. Assmann, Jan: „Kollektives Gedächtnis und kulturelle Identität“. In: Assmann, Jan / Hölscher, Tonio (Hg.): Kultur und Gedächtnis. Frankfurt a. M. 1988: Suhrkamp, 9-19.
Außerdem können spezifische diskursive Effekte zur Verstetigung der Heroisierung beitragen. Die Charismatisierung verlegt den heroischen Status in das Wesen der Person bzw. Figur. Durch diese Essentialisierung des Heroischen entfällt oder reduziert sich die Notwendigkeit, die heroischen Qualitäten der Figur immer wieder durch die Bezugnahme auf ein Heldennarrativ zu beglaubigen. Allein das Charisma der Person scheint ihre heroische Rolle zu verbürgen.
Bei der Sakralisierung wird die heroisierte Person in den Kontext des Mysteriösen und Sakralen gerückt, z. B. durch die rhetorische Verkleidung des Helden (wie die Behauptung der Unergründlichkeit und Unkommunizierbarkeit seiner heroischen Qualitäten), durch das Errichten von sprachlichen und sozialen Tabus um den Helden sowie durch die Etablierung eines oszillierenden Nähe-Distanz-Verhältnisses, welches sowohl die affektive Nähe zum Helden reproduziert als auch die konstitutive Differenz zwischen Verehrern und Verehrtem wahrt.5Vgl. Zink, Veronika: „Das Spiel der Hingabe. Zur Produktion des Idolatrischen“. In: Asch, Ronald G. / Butter, Michael (Hg.): Bewunderer, Verehrer, Zuschauer. Die Helden und ihr Publikum. Würzburg 2016: Ergon, 23-43, hier 31-34.
Durch das Aktualisieren von Heroismen erscheint der Held in der Nachfolge früherer heroischer Figuren und ihrer Narrative. Dies steigert die Wiedererkennbarkeit und kommunikative Anschlussfähigkeit des Heldennarrativs und erleichtert den Transfer ins kulturelle Gedächtnis. Indem eine Heroisierung selbst neue Heroismen produziert, kann sie zum Muster für nachfolgende Heldennarrative werden und damit eine fortdauernde Wirkung entfalten.
Als ästhetische Verselbständigung lässt sich die repetitive, formelhafte oder topische Darstellung des Helden in Kunst, Literatur und anderen Medien beschreiben, die ggf. bis zur Herausbildung einer Ikonographie oder eines Genres führt. Im weiteren Sinne können dazu auch Formen des ‚Brandings‘ zählen, durch die medienspezifische Attribute des Helden etabliert werden.
Gelingt es nicht, dem ursprünglichen Heldennarrativ eine dauerhafte Wirkung zu verleihen, so können dem Helden weitere heroische Handlungen zugeschrieben werden, die entweder in das bestehende Narrativ integrierbar sind oder eine Umbesetzung und damit gänzlich neue Heroisierung erfordern.
2.2.4. Entheroisierung
Der Heroisierungsprozess kann zur einer Überproduktion und Veralltäglichung der heroischen Figur führen, sodass diese verblasst.6Vgl. Zink: „Das Spiel der Hingabe“, 2016, hier 30-31. Die Gegner sowie das nicht-affizierte Publikum können zudem auf die ‚Profanierung‘ und Deheroisierung des Helden hinwirken, indem sie die Verehrungslogik unterlaufen, kritisch hinterfragen und alternative Interpretationen anbieten.
2.3. Akteure der Heroisierung und ihre Relationen
An Heroisierungsprozessen partizipieren verschiedene Akteure. Der Held bzw. die Heldin ist die heroisierte Figur, der heldenhafte Qualitäten zugesprochen werden und auf der die heroische agency konzentriert wird. Die Heldenmacher und -vermittler identifizieren eine Figur als heroisch, schreiben ihr bestimmte Bedeutungen zu und bemühen sich um die Verbreitung dieser Konstrukte. Die Anhänger und Gegner sind von der Heroisierung unmittelbar positiv bzw. negativ affiziert. Als Verehrer, Bewunderer oder Gefolgschaft des Helden haben die Anhänger Anteil an der Perpetuierung der Heroisierung. Das Publikum beobachtet die Heroisierung von außen und steht ihr gleichgültig gegenüber. Die passive Indifferenz und Skepsis des Publikums wirkt dem Heroisierungsprozess entgegen. Potentiell können aus dem Publikum jedoch weitere aktive Anhänger oder Gegner rekrutiert werden.
3. Einzelnachweise
- 1Maßgeblich an der Diskussion beteiligt waren die Mitglieder der Verbundarbeitsgruppe 6 „Synthesen“ im Sonderforschungsbereich 948. Redaktionell bearbeitet wurde der Artikel von Georg Feitscher.
- 2Plessner, Helmuth: Macht und menschliche Natur. Frankfurt
a. M. 1981: Suhrkamp, 80; vgl. auch von den Hoff, Ralf et al.: „Helden – Heroisierungen – Heroismen. Transformationen und Konjunkturen von der Antike bis zur Moderne. Konzeptionelle Ausgangspunkte des Sonderforschungsbereichs 948“. In: helden. heroes. héros. E-Journal zu Kulturen des Heroischen 1.1 (2013), 7-14, hier 10. DOI: 10.6094/helden.heroes.heros./2013/01/03. - 3Vgl. Schlechtriemen, Tobias: „The Hero and a Thousand Actors. On the Constitution of Heroic Agency“. In: helden. heroes. héros. E-Journal zu Kulturen des Heroischen 4.1 (2016), 17-32. DOI: 10.6094/helden.heroes.heros./2016/01/03.
- 4Vgl. Assmann, Jan: „Kollektives Gedächtnis und kulturelle Identität“. In: Assmann, Jan / Hölscher, Tonio (Hg.): Kultur und Gedächtnis. Frankfurt a. M. 1988: Suhrkamp, 9-19.
- 5Vgl. Zink, Veronika: „Das Spiel der Hingabe. Zur Produktion des Idolatrischen“. In: Asch, Ronald G. / Butter, Michael (Hg.): Bewunderer, Verehrer, Zuschauer. Die Helden und ihr Publikum. Würzburg 2016: Ergon, 23-43, hier 31-34.
- 6Vgl. Zink: „Das Spiel der Hingabe“, 2016, hier 30-31.
4. Ausgewählte Literatur
- Asch, Ronald G. / Butter, Michael (Hg.): Bewunderer, Verehrer, Zuschauer. Die Helden und ihr Publikum. Würzburg 2016: Ergon
- Schlechtriemen, Tobias: „The Hero and a Thousand Actors. On the Constitution of Heroic Agency“. In: helden. heroes. héros. E-Journal zu Kulturen des Heroischen 4.1 (2016), 17-32. DOI: 10.6094/helden.heroes.heros./2016/01/03.
- von den Hoff, Ralf et al.: „Helden – Heroisierungen – Heroismen. Transformationen und Konjunkturen von der Antike bis zur Moderne. Konzeptionelle Ausgangspunkte des Sonderforschungsbereichs 948“. In: helden. heroes. héros. E-Journal zu Kulturen des Heroischen 1.1 (2013), 7-14. DOI: 10.6094/helden.heroes.heros./2013/01/03.